Wer fragt, der führt!
Meine liebe Kollegin Steffi Knoll hat vor ein paar Tagen hier einen Artikel zur Rolle der Führungskraft in agilen Unternehmen veröffentlicht. Sie beschreibt darin den Wandel der Führungskraft vom direktiven Kapitän zum Rahmengeber mit Zutrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter:innen und einer klaren Vision, wo die agile Reise hingehen soll. Außerdem hebt sie die Bedeutung einer Fehlerkultur hervor, in der Fehler als Lernchancen verstanden werden – auch Fehler der Führungskraft, die in einer Transformation unvermeidbar sind.
Zuletzt sprach sie die Ängste von Führungskräften an, die gehört oder erlebt haben, dass durch die Einführung von Agilität Hierarchien abgebaut wurden.
Die Frage ist ja berechtigt, was eine Führungskraft nun tun soll, wenn doch alle Entscheidungen im Team getroffen werden.
Zum einen ist klar, dass der Aufbau und Erhalt eines Rahmens, in dem die Mitarbeiter selbstorganisiert und eigenverantwortlich arbeiten können, eine Menge Arbeit und Entscheidungen mit sich bringt. Das ist kein Selbstläufer! Führungskräfte wird es also immer brauchen.
Zum anderen sehe ich bei der Führungskraft auch den Wandel vom Antwortengeber zum Fragensteller.
Antworten an die Leine
„Führungskräfte von heute und in der Zukunft sind die Menschen, welche die richtigen, die interessanten Fragen stellen, nicht die, welche die guten Antworten geben.“ (Götz W. Werner)
Und das ist etwas, was man lernen und üben muss. Es kann eine echte Herausforderung sein, die erstbeste Antwort, die einem durch den Kopf schießt, erstmal zu unterdrücken und stattdessen Fragen zu stellen, die den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin im eigenen Denken weiterbringen. Tut man das, passieren mehrere magische Dinge:
- Der Mitarbeiter bleibt in der Verantwortung für die Problemlösung, der Affe wandert nicht auf die Schulter der Führungskraft.
- Die Mitarbeiterin bleibt aktiv im Denkprozess.
- Der Mitarbeiter lernt!
Von der Führungskraft zum Lernbegleiter
Die Führungskraft wird somit zum Lernbegleiter, der weiß, dass nachhaltiges Lernen nicht einfach heißt: „Ich sag Dir, wie es geht.“
„Sage es mir, und ich werde es vergessen.
Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten.
Lass es mich tun, und ich werde es können.“
(Konfuzius)
„Lass es mich selbst denken und ich werde mich damit verbinden“, könnte man noch ergänzen. Nicht der „Direktor“ ist die beste Führungskraft, sondern der „Evokator“, also eine Führungskraft, die die besten Fragen hervorruft, wie der Unternehmer Götz W. Werner häufig betonte. „Wer fragt, der führt!“
Davon abgesehen ist der Glaube, die Führungskräfte hätten immer die besten (oder sogar einzig guten) Ideen, längst überholt. Die Aufgaben sind zu komplex und nicht ohne Grund arbeitet man mit interdisziplinären Teams. Eine neue Herausforderung für eine Führungskraft könnte sein, derjenige mit den besten Fragen zu werden.
Gute Fragen
Kennt ihr den Spruch „Es gibt keine dummen Fragen“? Hm, wahrscheinlich gibt es die schon. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, dass Fragen immer besonders schlau und durchdacht sein müssen. Ich habe schon oft erlebt, dass eine ganz simple Verständnisfrage plötzlich eine riesige Diskussion ausgelöst hat. Der erste Eindruck, dass allen im Raum außer mir alles klar ist, ist oft trügerisch. Also Mut zum Fragen ist gefragt! Und das gilt natürlich nicht nur für Führungskräfte…
Um gute Fragen stellen zu können, muss ich auch kein Fachmann auf dem Gebiet sein. Es reicht, sich mit der Problemstellung verbinden zu wollen und mit in den Denkprozess einzusteigen. Sokrates war ein Meister darin. Mit seinen Fragen wurde er zur Hebamme vieler guter Gedanken.
Fragwürdige Abgründe
Wichtig für eine fragenfreundliche Kultur ist, dass Fragen ernst gemeint sind und aus Interesse und Neugier entstehen. Dem entgegen stehen Fragen, die als getarnte Anweisungen daherkommen. Das ist sehr leicht durchschaubar und schafft dann eine Kultur des „gefragten Befehls“.
Auch Fragen, die nur darauf abzielen, den anderen der Unwissenheit zu bezichtigen, verfehlen ihr Ziel. Im Einzelfall kann das mal als Wachrüttler wirksam sein, als regelmäßig verwendetes Instrument führt es aber eher zu Verunsicherung und mittelfristig zu einer Angstkultur. Wer möchte sich schon gerne von einer Frage aufspießen lassen?
Ein weiteres unschönes Phänomen ist das „Rate-meine-Gedanken“-Spiel. Die Führungskraft bombardiert eine Ratsuchende so lange mit Fragen, bis sie zufällig genau das errät, was die Führungskraft für richtig hält. Das Spiel kann im Kindergarten sehr anregend sein. Erwachsene Menschen sollten so nicht miteinander umgehen.
Gewagt gefragt
Also, liebe Führungskräfte, macht euch mutig auf den Weg. Reflektiert euer Verhalten, wenn jemand mit einem Problem auf euch zukommt und übt euch darin, Fragen zu finden, die euer Gegenüber weiterbringen und den nächsten Schritt selbst denken lassen. Werdet Lernbegleiter und Evokatoren! Die Frage, wofür es im agilen Unternehmen dann noch Führungskräfte braucht, wird dann schnell überflüssig.