Transparenz – ein Dialogischer Prozess
Der Begriff „Transparenz“ begegnet mir in der Arbeitswelt inzwischen inflationär. Ich kann mich an kaum einen Workshop der letzten Jahre erinnern, bei dem nicht mindestens auf einem Post-it „Transparenz“ stand. Und zurecht!
Nicht ohne Grund…
- gilt Transparenz neben Überprüfung und Anpassung als eine der drei Säulen von Scrum
- ist das Herstellen von Transparenz eine wichtige Fähigkeit im Agile Leadership
- wird im Lean Thinking das Prinzip „Yokotenkai“ aufgeführt, also die breite Entfaltung von Wissen im Unternehmen
- führt der Scrum Guide „Offenheit“ als Scrum-Wert, der in enger Verbindung mit Transparenz steht
- usw…
Man liest den Begriff so häufig, dass die Gefahr besteht, dass man ihn schon gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Dann wird er selbst transparent, aber nicht im Sinne von sichtbar. Er wird unsichtbar.
Warum ist Transparenz so wichtig?
Die Arbeitswelt wird immer komplexer und ist ohne weitgehende Transparenz kaum mehr zu bewältigen. Daher ist es wichtig, sie als wichtigen Bestandteil der Unternehmenskultur zu fördern – egal, ob als Säule, Wert, Prinzip oder Fähigkeit betrachtet.
Transparenz sorgt für Offenheit in Bezug auf:
- Vision & Mission
- anstehende Aufgaben
- den Arbeitsstand des Teams
- aktuelle Herausforderungen
- den Workflow jedes Einzelnen
- Wissensstände
- aktuelle Veränderungen der Gegebenheiten
- Defizite
- Bedürfnisse
- verschiedene Sichtweisen
Es ist ein Geben und Nehmen
Transparenz hat zwei Richtungen:
- selbst offen sein für Informationen und Erfahrungen
- Informationen für andere Bereitstellen
Offen sein für neue Informationen ist anspruchsvoller, als man im ersten Moment denken möchte. Das Gehörte muss an den eigenen Vorstellungen und Bewertungen vorbei. Das Gehirn muss bereit sein, Energie aufzuwenden, um Unbekanntes zu verarbeiten. Das ist viel anstrengender, als Neues „mit halbem Ohr“ in bestehende Schubladen zu sortieren.
Und um Informationen bereitwillig zu teilen, muss man zum einen die vermeintlichen Vorzüge des „Herrschaftswissens“ überwunden haben, zum anderen muss man in der Lage sein, Informationen so aufzubereiten, dass andere sie auch verstehen können.
Transparenz als Dialogischer Prozess
Auch in der Dialogischen Kultur nimmt Transparenz als einer von vier dialogischen Prozessen eine wichtige Rolle ein.
Hier geht es in erster Linie darum, einen Rahmen zu schaffen, der dafür sorgt, dass neben empirischen Daten auch Wissen über Zusammenhänge, Entwicklungen, Ziele und Motive bekannt ist. Und das nicht erst, wenn es gebraucht wird, sondern grundsätzlich. Das erst ermöglicht den einzelnen Mitarbeitenden, sich jederzeit eigene Urteile zu bilden und auf dieser Basis eigenständig im Sinne des Ganzen zu handeln.
„Ein Unternehmen arbeitet um so innovativer, wirklichkeitsnäher, effektiver und sozialverträglicher, je mehr die eigenständige Urteilsbildung der Mitwirkenden herausgefordert ist.“
Dr. Karl-Martin Dietz, Mitbegründer des F. v. Hardenberg-Instituts Heidelberg
Grenzen der Transparenz
Ein Irrweg wäre nun, ein Informationschaos anzurichten, in dem sich nach kurzer Zeit niemand mehr zurechtfindet. So manches Intranet zeugt davon. Und auch der Blick ins eigene Mail-Postfach kann sehr aufschlussreich sein.
In einer auf Transparenz setzenden Kultur muss sich jede und jeder immer wieder die Frage stellen, was die anderen erfahren müssen, um eigenständig arbeiten zu können. Und Transparenz setzt auch Diskretion voraus. Informationen lassen sich meist nur in Kontexten verstehen und richtig einordnen. Sonst sind sie eher schädlich, weil sie zu fantasiereichen Interpretationen einladen. Ungeschicktes Informieren führt im schlimmsten Fall zu Chaos, Misstrauen und Konflikten.
Wie kommt Transparenz zustande?
Unternehmen können einiges tun, um eine transparente Kultur zu fördern.
Achtet darauf, dass Informationen
- frühzeitig
- regelmäßig
- aktiv und
- umfassend
zur Verfügung gestellt werden.
Und jede und jeder Einzelne kann sich mit Blick auf einen konkreten Sachverhalt immer wieder diese Fragen stellen:
- Was genau ist die Sache?
- Wie sehen es andere? Welche Aspekte gibt es, die ich nicht sehe?
- Wie hängen die Dinge zusammen? Warum sind sie so, wie sie sind?
- Was ist für mich und mein Tun das Wesentlich?
Ihr wollt mehr darüber erfahren, wie sich Transparenz in Unternehmen etablieren lässt oder was es mit den Dialogischen Prozessen auf sich hat? Dann schreibt mir gerne eine E-Mail an karsten.roeth@emendare.de.