Stell Dir vor, die Welt geht unter, und keiner geht hin
Unseren Impulsletter 06/2019 haben wir dieses Mal ganz bewusst an dem Tag (05.06.2019 ) verschickt, an welchem bekannt gegeben wurde, wann der World Overshoot Day 2019 sein wird.
Was der World Overshoot Day überhaupt ist und was das Thema mit agilem Arbeiten gemeinsam hat, könnt Ihr hier nun lesen.
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Emendare Impulsletter 06/2019 – geschrieben von Jan Neudecker
Ich habe eine kleine Aufgabe für Euch! Setzt Euch hin, schließt die Augen und lasst die letzten 24 Stunden nochmal Revue passieren.
Nehmt Euch Zeit. OK super! Jetzt das Ganze nochmal für die letzte Woche.
Fertig? Was fällt Euch auf? Macht Euch ein paar Notizen, bevor ihr weiter lest.
Heute ist ein besonderer Tag. Mich persönlich macht er sehr traurig. Heute wurde bekannt gegeben, wann der diesjährige Earth Overshoot Day ist. Schon mal gehört? Dieses Jahr fällt er auf den 29.07.2019 .
Vor 1971 gab es diesen Tag streng genommen noch nicht einmal. Am 21.12.1971 ist es zum ersten Mal vorgekommen, dass wir Menschen vor Ablauf eines Kalenderjahres mehr Ressourcen verbraucht haben, als unser Planet uns in einem Jahr zur Verfügung stellt. 10 Jahre vorher lagen wir am 31.12. noch bei einem Wert von 0,73. Es gab also noch 27% Reserven. In nicht einmal 10 Jahren hat sich unser Ressourcenbedarf so stark erhöht, dass wir diesen Puffer ausgeschöpft haben. Und 2019 ist dies schon am 29.07. der Fall.
Wenn Ihr mich fragt, ein alarmierendes Zeichen. Wir Deutschen wirtschaften aktuell übrigens so, als hätten wir drei Planeten zur Verfügung. Als Land haben wir unseren Overshoot Day bereits am dritten Mai erreicht. Langfristig wird das denke ich so nicht funktionieren.
Und was hat das Ganze mit agilem Arbeiten zu tun, werdet ihr Euch jetzt fragen. Eine Menge, wie ich finde.
Blicken wir nochmal auf die Notizen von vorhin. Wie habt ihr Euch beim Schreiben gefühlt, als Ihr die letzte Woche nochmal durchlebt habt? Steht vielleicht sogar eines der Worte Stress, Überstunden oder kraftlos auf dem Zettel? Wir alle kennen die Situationen, in denen wir über unser Limit hinaus arbeiten, vermutlich besser als wir gerne würden. Und so geht es auch immer wieder Teams, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Die Annahme ist immer die gleiche. Wir geben jetzt Gas und holen einen Rückstand auf. Aber funktioniert das so einfach? Aus meiner Beobachtung heraus würde ich sagen, NEIN! Das tut es nicht. Denn auch wir haben ein begrenztes Limit an Energie, welches wir ausschöpfen können, bevor wir uns wieder erholen müssen. Eigentlich komisch, dass dies in der Berufswelt oft anders gesehen wird. Keiner käme auf die Idee, einem Profisportler einen Tag vor einem wichtigen Wettkampf zu sagen: „Hey, du hast eigentlich nicht genug trainiert… geh nochmal 20 km joggen vor deinem großen Tag morgen… oder hebe nochmal bis ans Limit Gewichte“. Im Sport ist bekannt, dass man immer wieder ausreichend Ruhephasen braucht, um Topleistungen abrufen zu können bzw. dass man nicht dauerhaft über der Leistungsgrenze agieren kann und danach wieder sofort auf normalem Niveau weitermachen kann.
Aber welchen Effekt hat eine Überlastungssituation auf unsere Teams bzw. auf unser Produkt? Denn dort wird man den Effekt ebenfalls deutlich messen können. Folgende Grafik zeigt in orange den Verlauf des Outputs eines Teams sowie in grün den qualitativen Zustand (d.h. den Zielwert, den sich das Team gesetzt hat und über die DoD überprüft) an.
Das Team liefert zu Beginn die angestrebte Qualität und ist auch im Fluss. Das heißt, es kann kontinuierlich Wert liefern. Jetzt kommt die erste Krise. Eine Deadline steht an und der versprochene Scope ist noch nicht implementiert. Das Team reagiert mit Überstunden und Wochenendarbeit. Auf den ersten Blick steigt die Wertschöpfung. Die Deadline kann noch mit dem vereinbarten Scope erreicht werden. Was ziemlich sicher gleichzeitig passiert, sieht man an der Qualität. Diese geht nach unten und die DoD konnte nicht eingehalten werden. „Das räumen wir später auf“, nimmt man sich vor. Doch leider ist der Zeitdruck dafür meist zu hoch. Das Team kommt nicht zum Beseitigen der technischen Schulden und arbeitet auf der nun schlechteren Codebasis weiter. Zudem fordern die Überstunden ihren Tribut. Die Teammitglieder fallen in ein Loch und müssen erstmal regenerieren. Stellt Euch vor, ihr lauft einen Marathon und probiert am nächsten Tag wieder einen Dauerlauf zu machen. Eure Leistungsfähigkeit wird nicht vergleichbar sein. Zusätzlich sind solche Stresssituationen in Teams oft auch schlecht für die Moral, und das wirkt sich wiederum negativ auf die Wertschöpfung des Teams aus. Die orangene Linie fällt also erstmal unter den vorherigen Normalzustand und steigt langsam wieder an, erreicht den alten Wert aber nicht mehr.
Wie man sieht, laufen wir Gefahr, in einen Teufelskreis zu geraten. Krise Nummer 2 kommt bestimmt. Die Folgen sind auf den obigen Grafiken erkennbar. Irgendwann können solche Zyklen dazu führen, dass Software nicht mehr zu warten bzw. nicht mehr weiter zu entwickeln ist, da die technischen Schulden so groß geworden sind, dass sie jegliche Wertschöpfung verhindern bzw. diese nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll zu erreichen ist. Wenn ein Team die Qualität zugunsten eines höheren Outputs vernachlässigt, sollte man direkt im Anschluss genug Raum zur Regeneration der Qualität und der Kraftreserven des Teams lassen. Das ist auf der folgenden Grafik verdeutlicht.
Das Team verschiebt im Endeffekt nur die Wertschöpfung nach vorne. Der Trugschluss, man könne mehr Wertschöpfung aus dem Team rausholen, ist falsch. Wir sind nun mal keine Maschinen und brauchen unsere Ruhephasen. Und wir neigen in Drucksituationen dazu, unsaubere Arbeit eher zu akzeptieren, wenn sie uns dadurch schneller zum Ziel führt. Wird dies im Anschluss nicht ausgeglichen, rächt sich das auf lange Sicht immer. Ein Team, welches regelmäßig in Phasen der Überlastung kommt, ohne anschließend regenerieren und aufräumen zu dürfen, wird langfristig keinen Erfolg haben.
Wie sind wir eigentlich jetzt an dem Punkt des Artikels gelandet? Ach ja, der Earth Overshoot Day… eine Erde, auf der wir kontinuierlich mehr Ressourcen verbrauchen als sie uns zur Verfügung stellt, wird langfristig vermutlich nicht bewohnbar sein. Beide Situationen können wir beruflich wie privat beeinflussen. Ich hoffe, dass dieser Artikel zum Nachdenken angeregt hat.
Ruft uns an, wenn Ihr Hilfe dabei benötigt, Eure Teams in einen Zustand des „Flows“ zu bekommen, damit sie kontinuierlich Wert liefern können Tel.: +49 (0)721 170 280 08.
Mehr Informationen zum Earth Overshoot Day findet ihr unter https://www.overshootday.org
Photos von
Nikola Jovanovic auf Unsplash
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